Hafen Neuss 4

Land-Use-Planning oder passiv planerischer Störfallschutz

Die Seveso-III-Richtlinie und die Bauleitplanung.

Die europäische Richtlinie 2012/18/EU vom 04.07.2012(Seveso-III-Richtlinie) dient der Beherrschung von Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen. Diese mit der Störfallverordnung (12. BImSchV) in deutsches Recht umgesetzte Richtlinie regelt insbesondere die Pflichten von Betreibern besonders gefahrenrelevanter Industrieanlagen. Der Vollzug dieser Verordnung erfolgt durch die Bezirksregierungen.

Artikel 13 der Seveso-III-Richtlinie („Land-Use-Planning“ oder passiv planerischer Störfallschutz) nimmt über ein Abstandsgebot zwischen einem Betriebsbereich nach § 3 Abs. 5a BImSchG und verschiedenen Umgebungsnutzungen wie Wohnbebauung oder öffentlich genutzten Gebäuden auf Verfahren der Bauleitplanung Einfluss. Er enthält damit spezifische Anforderungen im Rahmen der allgemeinen Planungsziele. So ist im Artikel 13 der Seveso-III-Richtlinie festgelegt, dass in der "... Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung oder anderen einschlägigen Politiken sowie den Verfahren für die Durchführung dieser Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten, Erholungsgebieten und – soweit wie möglich - Hauptverkehrswegen und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvolle bzw. besonders empfindliche Gebiete andererseits ein angemessener Sicherheitsabstand gewahrt bleibt ... damit es zu keiner Zunahme der Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt kommt."

Diese Vorgaben sind sowohl bei der Errichtung bzw. Änderung von Betriebsbereichen als auch bei neuen Entwicklungen in der Nachbarschaft bestehender Betriebe zu berücksichtigen.

Konkret bedeutet dies, dass im Rahmen der Bauleitplanung bei der Erstellung bzw. Änderung von Flächennutzungs- oder Bebauungsplänen eine Nachbarschaftssituation zu Betriebsbereichen und ggf. die Einhaltung eines angemessenen Sicherheitsabstands zu prüfen ist. Allerdings gilt das Gebot eines angemessenen Sicherheitsabstands nur für neue Vorhaben (neue Standorte, Änderungen oder neue Entwicklungen in der Nähe von Betriebsbereichen); Artikel 13 kann nicht rückwirkend angewandt werden (bestehende Nachbarschaften haben Bestandsschutz).

Der Artikel 13 der Seveso-III-Richtlinie ist mit dem § 50 des BundesImmissionsschutzgesetzes (BImSchG) in deutsches Recht umgesetzt.

Als Beurteilungshilfe hat die Kommission für Anlagensicherheit den Leitfaden KAS-18 (Empfehlung für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung – Umsetzung des §50 BImSchG) herausgegeben. Der Leitfaden definiert Achtungsabstände, die Planungszonen darstellen. Die Achtungsgrenzen basieren auf Konventionen und berücksichtigen nicht transportbedingte Risiken, „Nicht-Störfallstoffe“, Worst-Case-Störfälle für die Katastrophenschutzplanung und zukünftige Entwicklungen. Die Achtungsgrenzen basieren auf den sogenannten „Dennoch-Störfällen“. Unter Dennoch-Störfällen werden dabei Störfälle, die sich trotz aller betriebsbezogenen Sicherheitsmaßnahmen ereignen können, verstanden. Unterschieden werden im Leitfaden die Bauleitplanung mit Detailkenntnissen und die Bauleitplanung ohne Detailkenntnisse. Der Leitfaden definiert für die Bauleitplanung ohne Detailkenntnisse Achtungsabstände. Diese sind, in Abhängigkeit der verwendeten Stoffe (Leitstoffe), in 4 Klassen (I = 200 Meter bis IV = 1500 Meter) eingeteilt. Weiterhin wird eine Empfehlung für das Vorgehen bei der Bauleitplanung mit Detailkenntnissen gegeben.

Im Folgenden werden die Arbeitsschritte und das Verfahren, mit Hinweisen/Ergänzungen der Bezirksregierung Düsseldorf, dargestellt:

Planung eines Gebietes, in dem grundsätzlich auch Anlagen zulässig sein sollen, die der Störfallverordnung unterliegen (Bauleitplanung ohne Detailkenntnisse)

  1. Ermittlung der schutzbedürftigen Gebiete in einem Abstand von 1500 Meter zum geplanten Gebiet, in denen auch Störfallanlagen zulässig sein sollen
  2. Darstellung der Abstände der einzelnen schutzbedürftigen Gebiete zum geplanten Industriegebiet und ggf. Konfliktbeschreibung
  3. Konfliktlösung durch Zonierung und Ausschluss von Anlagen der entsprechenden Achtungsabstände oder zusätzliche technische Maßnahmen II. Planung eines neuen schutzbedürftigen Gebietes i.S. des § 50 BImSchG (Bauleitplanung mit Detailkenntnissen)

Planung eines neuen schutzbedürftigen Gebietes i.S. des § 50 BImSchG (Bauleitplanung mit Detailkenntnissen)

  1. Ermittlung der Betriebsbereiche innerhalb eines Abstandes von 1500 Meter um das geplante schutzbedürftige Gebiet i.S. des § 50 BImSchG:
    Informationen zu Betriebsbereichen (Lage, Größe, verwendete Stoffe, Einstufung in Abstandsklasse (Achtungsabstand) gem. Leitfaden KAS18) erfolgt durch die Bezirksregierung Düsseldorf
  2. Darstellung der Abstände der Betriebsbereiche zum geplanten schutzbedürftigen Gebiet
  3. Ist der ermittelte reale Abstand (gemessen von der Betriebsbereichsgrenze) größer/gleich dem Achtungsabstand, entsteht keine Konfliktsituation. Ist der ermittelte reale Abstand kleiner dem Achtungsabstand, bestehen Anhaltspunkte, dass hier ein entsprechender Konflikt entsteht. Es ist eine Einzelfallbetrachtung (Berechnung des erforderlichen angemessenen Sicherheitsabstandes gem. Nr. 3.2 des Leitfadens KAS-18) notwendig.
    wird nicht durch die Bezirksregierung geleistet; BR steht aber beratend zur Verfügung
  4. Ist der durch Einzelfallbetrachtung ermittelte angemessene Sicherheitsabstand kleiner dem realen Abstand, ist nicht von einer Konfliktsituation auszugehen. Ist der durch Einzelfallbetrachtung ermittelte angemessene Sicherheitsabstand aber größer/gleich, so entsteht eine Konfliktsituation, die zu lösen ist.

Vorhabenbezogene Planung eines Gebietes, in dem eine konkrete Anlage errichtet werden soll, die der Störfallverordnung unterliegt (Bauleitplanung mit Detailkenntnissen)

  1. Ermittlung der schutzbedürftigen Gebiete in einem Abstand von 1500 Meter zum geplanten Gebiet, in denen auch Störfallanlagen zulässig sein sollen
  2. Darstellung der Abstände der einzelnen schutzbedürftigen Gebiete zum geplanten Industriegebiet und ggf. Konfliktbeschreibung
  3. Ermittlung der Abstandsklasse (Achtungsabstand), der der geplante Betriebsbereich zuzuordnen ist
  4. Ist der ermittelte reale Abstand größer/gleich dem Achtungsabstand, besteht keine Konfliktsituation. Ist der ermittelte reale Abstand kleiner dem Achtungsabstand, bestehen Anhaltspunkte, dass hier ein entsprechender Konflikt entsteht. Es ist eine Einzelfallbetrachtung (Berechnung des erforderlichen angemessenen Sicherheitsabstandes gem. dem Leitfadens KAS-18) notwendig.
    wird nicht durch die Bezirksregierung geleistet; BR steht aber beratend zur Verfügung
  5. Ist der durch Einzelfallbetrachtung ermittelte angemessene Sicherheitsabstand Abstand kleiner dem realen Abstand, ist nicht von einer Konfliktsituation auszugehen Ist der durch Einzelfallbetrachtung ermittelte angemessene Sicherheitsabstand aber größer/gleich, so entsteht eine Konfliktsituation, die zu lösen ist.

Hinweis

Sonstige, allgemeine Immissionsschutzbelange (z.B. hinsichtlich Lärm und Gerüche) können größere Abstände erfordern.

Weitergehende Infos

  1. Leitfaden KAS-18 Empfehlung für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung – Umsetzung des §50 BImSchG, 2. Überarbeitete Fassung (Nov. 2010) (Download auf der Seite der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) https://www.kas-bmu.de/kas-leitfaeden-arbeits-und-vollzugshilfen.html)
  2. Kurzfassung zum Leitfaden KAS-18 K (Download auf der Seite der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) https://www.kas-bmu.de/kas-leitfaeden-arbeits-und-vollzugshilfen.html)